Schwarze Schatten
von Sebastian Johnke
Schlafdefizit, zerschundene Hände, aufgeschlagene Knie, blaue Flecken, wundgesessene Hinterteile und Muskelkater von vorne bis hinten – das heißt es also, an den 60 Seemeilen teilzunehmen.
Wir – das sind Zsuzsanna Orcsik und ich – hatten bereits zweimal an der Regatta teilgenommen. 2015 wurde das Rennen nach nur einer laaangen Runde bei Nullkommanull Wind beendet, 2016 haben wir das Rennen nach vier Runden bei zuletzt auch Null Wind vorzeitig beendet. Es war romantisch, diese Rennen über Nacht zu segeln. Die seglerische Herausforderung war es aber eher, über die Distanz nicht einzuschlafen die Konzentration zu verlieren.
Ganz anders dieses Mal. Bereits drei Tage vorher war starker böiger Wind für die ganze Renndauer vorgesagt. Die Vorhersage sollte sich auch bis zum Rennbeginn nicht ändern. Würden wir also endlich einmal die volle Distanz unter guten Bedingungen fahren können?
Vor dem Start habe ich das Boot mal wieder von allem unnötigen Ballast befreit: Außenborder, Tank, Campinggedöns, und was sich sonst noch alles über ein Jahr ansammelt. Sicher knapp 50 kg, was, auf das Bootsgewicht von 650 kg unserer Fareast 18 übertragen, etwa 7 % ausmacht. Am Wind sicher nicht so entscheidend, aber essentiell, das Boot vor dem Wind ins Gleiten zu bringen.
Außerdem wird noch der Gennaker geflickt, der jetzt auch schon bald ein Jahr keine frische Luft mehr geschnuppert hatte.
Außer uns werden von der SVH noch Andreas Klatt, mit Jana Mätz und Philip Klatt auf ihrer Albin Accent sowie die Pinguin-Crew auf ihrem Kreuzer teilnehmen. Beides sehr erfahrene und eingespielte Regattateams.
Freitag, 16:00 Uhr
Am Starttag werden wir von Andreas ins Schlepptau genommen und vom Stößensee zum Start vor dem Strandbad Wannsee geschleppt. Noch am Haken, setzen wir das Groß und melden gerade rechtzeitig am Startboot. Die erste Startgruppe mit den Booten unter Yardstick 100 ist bereits im Startprocedere. Nachdem die schnellen Boote durch sind, reihen wir uns in die zweite Startgruppe ein.
17:05 Uhr
Der Wind aus West ist, wie angekündigt, etwa vier bis fünf Beaufort stark. Hinter dem Pinguin und der Accent reihen wir uns ein. Eine Minute vor dem Start verschätze ich mich. Wir sind zu weit von der Startlinie und kommen erst gute zehn Sekunden verspätet über die Linie. Unser Boot hängt voll in der Abdeckung der vorderen Starter, so dass wir bei nächster Gelegenheit auf Steuerbordbug wenden, weg von unserer ersten Tonne vor Kälberwerder. Hier und da bauen wir ein paar Manöverfehler ein. Stellenweise rauschen hier Starkwindböen ein, auf die wir anfangs noch nicht schnell genug reagieren. Accent und Pinguin kommen weiter vorne besser weg. Hier trennt sich also bereits die Spreu vom Weizen.
17:25 Uhr
Wir haben gerade die erste Tonne vor Kälberwerder passiert und warten auf den ersten Einsatz des Gennakers.
60° zum Wind.
70°.
80°.
90°.
100°.
Hoch die Tassen und Vollgas.
So hatten wir es uns vorgestellt. In der Realität fahren wir eine Halse, um den Gennaker, der auf der falschen Seite angeschlagen ist, bei diesen Starkwindbedingungen im Windschatten des Großsegels setzen zu können. Es geht schief, was schiefgehen kann. Verdrehte Leinen, unkoordinierte Manöverabläufe. Hier zollen wir unserer mangelnden Übung Respekt. Irgendwann ist der rote Teufel aber doch oben und wir dürfen das Feld von hinten aufzäumen. Ein paar Boote sind während des Manövers an uns vorbeigezogen.
Unter diesen böigen Bedingungen müssen wir die ganze Zeit konzentriert an den Schoten arbeiten. Der Wind schwankt zwischen 130° und 60°, eigentlich viel zu hoch für unseren Gennaker. Einmal nicht aufgepasst, und das Boot würde einen wunderschönen Sonnenschuss produzieren. In der Abdeckung vor Kladow machen wir auch nicht allzu viel Geschwindigkeit.
Vor uns taucht unerwartet ein uns bekanntes rotes Folkeboot auf. Unser Sportwart Harald Jänike empfängt uns zum Fototermin und begleitet uns die ersten beiden Rennrunden. Eine schöne Überraschung.
Kurz hinter Lindwerder hat der Wind dann wieder so hoch gedreht, dass wir das Vorwindsegel wieder bergen und dann bis zur Scharfen Lanke und wieder zurück bis zum Wannsee mit der Fock fahren.
19:00 Uhr
Vorbei am Großen Fenster biegen wir auf den Wannsee ab. Vorwind, 20 Knoten Wind. Gennaker aus der Hand fahren um die Böen schnell genug abzufangen. Ohne Winschen ein Knochenjob bei 30 Quadratmeter zusätzlicher Segelfläche. Immer noch fehlt uns die Übung, das Potential voll abzurufen. Zwanzig Minuten später passieren wir das erste Mal die Tonne vor dem Potsdamer Yachtclub. Runde Eins von Sieben.
Jetzt hoch am Wind nach Kälberwerder. Der Wind dreht mit dem Bogen um den Wannsee rum, so dass wir es mit nur zwei Wenden bis zur Tonne vor Kälberwerder schaffen. Mit dem neuen Satz Segel läuft das Boot gnadenlos gut Höhe. Mittlerweile haben wir die Segel auch besser getrimmt und können die zahlreichen Böen um 20 bis 25 Knoten gut abfangen. Um den Anschluss nicht zu verlieren, fahren wir mit der vollen Segelfläche. Wer refft verliert. Aus den anfänglichen Aufschiessern ist ein relativ stabiles Amwind-Segeln geworden. Wir fahren, wie auf Schienen. Knapp fünf Knoten Bootsgeschwindigkeit bei 25° scheinbarem Wind. Böen erkennen und das Groß etwas fieren. Die mare, eine Varianta 18, sehr ähnlich zu unserer Fareast, können wir langsam hinter uns lassen.
19:45 Uhr
Wieder auf Kurs Lindwerder setzen wir erneut den Gennaker. Die Abläufe sitzen noch immer nicht. Das Setzen dauert immer noch lange. Und dann ein Schuß in die Sonne, den wir halbwegs gut wieder abfangen können, ohne dass sich unser Boot komplett auf die Seite legt. Das ständige Trimmen zehrt an den Kräften.
Wie werden wir das zu zweit noch geschätzte neun Stunden durchhalten?
Vor uns fährt seit geraumer Zeit ein kleines blaues Boot, Sprotte von der Baltischen Seglervereinigung Berlin, eine Deltania 20.5, also etwa unsere Bootsgröße. Das ist also unser erstes Fernziel. Vor dem Wind können wir mangels Erfahrung nur mithalten. Nach der Rundung der Tonne Lindwerder fahren wir jedoch wieder am Wind und nähern uns langsam.
Dann wieder rein in den Wannsee und mit dem roten Teufel das Boot ins Gleiten bringen. Über acht Knoten stehen in Böen um 18 Knoten auf der Logge. Hinter uns zischt das Wasser. Wir sind das erste Mal schnell. Knapp unter dem, was die Polare vom Hersteller für das Boot auf diesem Kurs bei diesem Wind versprechen. Aber wir sind auch schnell am Ende unserer Kräfte. Länger halten wir das so nicht aus. Wir beschließen, die nächsten Runden ohne Gennaker zu fahren. Der Wind ist ohnehin so stark, dass wir auch nur mit der Fock ins Gleiten kommen und auf den letzten halben Knoten pfeifen wir, in der Hoffnung, dass wir aufgrund unserer miserablen Gennakermanöver unter Fock am Ende ohnehin schneller sind.
20:50 Uhr
Erneut Am Wind nach Kälberwerder. Wir können wieder gute Höhe segeln, und sind auch flott. Natürlich immer in Relation zur Bootsgröße. Bei 18 Fuß sind eben nur max. 5,5 Knoten am Wind drin. Größere Boote segeln gnadenlos an uns vorbei. Gegen 34-füßige X-Yachten zu verlieren ist aber auch keine Schande. Wir freuen uns nur, dass wir immerhin ganz gut mitsegeln können. Die Böen sind anstrengend, aber es macht höllischen Spaß hier zu segeln.
Hier am Wind überholen wir auch Sprotte. Erstes Fernziel also erreicht. Bei Kälberwerder ist der Vorsprung so groß, dass wir entspannt nur mit Fock auf Vorwindkurs Richtung Lindwerder segeln, und Sprotte unter Genni uns nicht überholen kann. Am Wind machen wir dann wieder Boden gut.
22:15 Uhr
Mit sieben Knoten gleiten wir auch vor dem Wind ganz entspannt gut dem Ende der dritten Runde am PYC entgegen. Nicht schnell genug für Sprotte. Kurz vorm PYC werden wir überholt. Aufgrund eines Winddrehers ist der Wind für deren Gennaker aber dann nicht mehr gut genug. Direkt vor der Tonne können wir uns wieder vor sie setzen. Sprotte ist in Luv. Wir drängen Sie höher gegen den Wind, so dass ihr Gennaker noch weniger wirken kann.
Den Zwei-Bootslängen-Kreis erreichen wir knapp vor Sprotte. Jemand aus Luv brüllt „Raum“. Versuchen kann man es ja, aber wir waren schneller und lassen uns nicht in die Irre führen. Die Sprotte-Crew sieht das offenbar anders. Mit zwei Meter Abstand wollen wir die Tonne runden. Da muss doch noch wer zwischen passen. Der erfahrene Segler wird wissen, dass ein 2,50 m breites Boot nicht in eine Lücke von zwei Metern passt. So kommt es also zur Kollision. Laute Rufe von der Sprotte-Crew, die schnell leiser werden, als ihnen offensichtlich die Regattaregeln durch den Kopf gehen. Nach der Rundung dann ein leiseres „Ist halt Regatta“. Wir sparen uns einen Protest vor Ort, dafür an dieser Stelle: Lennart und Crew – das geht auch anders. Ein paar Kratzer im blauen Gelcoat sind hoffentlich eine gute Erinnerungshilfe.
Ab hier haben wir unseren Groove gefunden. Nicht unter Volllast – das würden wir bis zum Ende nicht aushalten, aber mit 90% Leistung spulen wir nun Runde für Runde ab. Sprotte ist Geschichte. Der Pinguin macht jede Runde etwas mehr Boden gut, jedenfalls sehen wir ihn immer weiter vor uns. Am Ende sind sie uns eine Runde voraus. Den Abstand zu Andreas Come Back können wir halbwegs halten. In den ersten beiden Runden haben wir knapp eine halbe Stunde auf die Albin verloren, aber wenigstens bleibt der Rückstand nun konstant.
23:45 Uhr
Wir gehen in die fünfte Runde. Die Nacht ist über das Regattafeld hereingebrochen. Aus dem Dunkel der noch mondlosen Nacht tauchen immer wieder schwarze Schatten auf. Bijou, Sweet Sixteen und wie sie alle heißen. Die großen Rennboote müssen wir passieren lassen. Um bis zum Ende durchzuhalten teilen wir ab jetzt unsere Kräfte auf. Zsuzsanna fährt die etwas weniger kräftezehrenden Vorwindkurse, ich die Amwindkurse.
Samstag, 1:15 Uhr
Langsam wird es einsam um uns herum. Die langsameren Boote haben wir weit hinter uns gelassen. Vor uns taucht aber auch kein neuer Gegner auf. Während ich auf einem Vorwindkurs unter Deck kurz pausiere, sieht Zsuzsanna eine große Sternschnuppe am Himmel in einzelne Teile zerfallen.
Später zieht der Wind nochmal ordentlich an. Wir fahren jetzt bei Windstärke 6. Der Himmel ist sternenklar. Und wieder tauchen schwarze Schatten aus dem Dunkel auf. Heftige Böen kündigen sich Sekunden vor dem Einschlag durch eine Verdunklung auf dem schwarzen Wasser an. Der Wind lässt uns keine Ruhe.
Wir ziehen mittlerweile bei 22° zum scheinbaren Wind bei fast fünf Knoten eine Furche durchs Wasser. Das entspricht immerhin einem wahren Wendewinkel von 60°. Unglaublich. Allerdings produzieren wir bei dem Wind und ständiger Schräglage auch eine heftige Abdrift. Am Ende bleiben von den sagenhaften Wendewinkeln aber immer noch gute 80° über.
3:40 Uhr
Nachdem ich Zsuzsanna eine Runde lang habe schlafen lassen, biegen wir auf unseren letzten Vorwindkurs zum PYC ein. Der Mond ist aufgegangen und der Morgen graut langsam. Für das große Finale wollen wir nochmal den roten Teufel hissen. Wir runden die grüne Fahrwassertonne im Wannsee und fahren ein letztes Manöver. Der Gennaker ist vollkommen verdreht und die Backbordschot ist am Bug verheddert. Wir sind zu müde für die große Show und holen ihn einfach wieder ein. Auf zwei Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an.
4:02 Uhr
Zieldurchfahrt nach 10:52 h. Kurze Irritation, da es kein Tröten gibt, wir vergessen aber nachzufragen, ob es eventuell noch eine gesonderte Zieldurchfahrt gibt und setzen direkt Kurs nach Hause.
Vor uns liegt noch eine Heimfahrt von gut einer Stunde. Erst am Strandbad Wannsee plagen uns Zweifel, ob wir das Ziel noch gar nicht durchfahren haben. Ohne das zu klären behalten wir unseren Kurs bei. Wenn die Fahrt am Ende nicht gewertet wird, auch egal.
Am Stößensee liegt die Albin schon in ihrer Box. Jana, Philipp und Andreas schlafen sicher schon, oder sind auf dem Weg nach Hause. Die Pinguin-Crew ist gerade fertig mit Klarieren. Auch sie waren sich nicht sicher, ob sie am PYC schon im Ziel waren, hatten sich aber auf Nachfrage vergewissert, dass das wirklich das Ende war. Dann werden wir also doch auch gewertet.
Völlig erschöpft fallen wir in unsere Kojen.