Daniel, Alfons Schrage
Nach dem Törn ist vor dem Törn
Wenn die segelarme Saison (in der wir immerhin die Pass Uff! haben) im Gange ist und die besinnliche Zeit ansteht, beginnen meist die ersten Vorbereitungen auf unseren Sommertörn.
Potenzielle Crewmitglieder tauschen sich zu Möglichkeiten und Zeiträumen aus. Sobald Crew und Zeitraum feststehen, ist vom Organisatorischen her erstmal alles in trockenen Tüchern und die Vorfreude kann beginnen. Noch im Winterlager erfolgen die ersten Arbeiten rund um die Eilunh, die auch über die reine Gewährleistung der Funktionalitäten in der kommenden Berliner Segelsaison hinausgehen – schließlich soll auf dem Törn alles glatt gehen. Rückt der Törntermin dann näher, geht es an Terminabstimmungen fürs Mastlegen, Absprachen zum Seegebiet, Beschaffung der erforderlichen aktuellen Seekarten, Zusammenstellung der Einkaufsliste etc.
Als nun in diesem Jahr eine Woche vor dem Ablegen der Mast gelegt und alle Technik und Ausrüstung noch mal gründlich überprüft worden war, schien alles bereit zu sein – bis der Bordrechner sich nicht hochfahren ließ. Was ist denn das? Die Bordbatterie war „platt“. Es gab etwas Hudelei, aber schlussendlich hatten wir eine neue Bordbatterie und ein neues Ladegerät – das letzte geeignete, das es in Berlin und im Umland so spontan zu kaufen gab.
Sehr erleichtert legten Daniel, Iljan, Jim, Pierre und Olaf am Freitag, dem 16. Juni, um 17 Uhr bei der SVH ab. Die Schleuse Spandau passierten wir nach ungewöhnlich kurzer Wartezeit, so dass wir die Hoffnung hatten, bis zum Abend sogar den Lehnitzsee zu erreichen. Mit Glück im Unglück vereitelte aber starker Regen in Verbindung mit nicht aufgebauter Sprayhood und bislang nicht bekannter Undichtigkeit an den Motorinstrumenten gerade bei Ausfahrt aus dem Nieder Neuendorfer See auf die Kanalstrecke die Weiterfahrt. Die Ursache für den penetranten Warnton war schnell gefunden – Kriechstrom. Mit der Hoffnung, am nächsten Morgen ohne Fehlalarm weiterfahren zu können, kehrten wir die paar Meter zum See zurück, um zu ankern. Das erste formidable Abendessen wurde gereicht.
Der Rest der Strecke nach Stettin verlief wie in den vorangegangenen Jahren störungsfrei. Am Sonntagmittag erreichten wir Stettin und am Abend mit gesetztem Mast Ziegenort im Stettiner Haff.
Nachdem Jim und Daniel am Samstag und Sonntag jeweils um viertel nach vier aufgestanden waren, schaute Olaf am Montag gegen acht Uhr in die Luke des Vorschiffs, um „Schiebewind“ zu verkünden. Zehn Minuten später waren die Leinen los und die Segel gesetzt. Mit achterlichem Wind durchsegelten wir das Stettiner Haff. Die Kaiserfahrt – die Verbindung vom Stettiner Haff nach Swinemünde – nahmen wir unter Motor. Gerade rechtzeitig zum Auffrischen des Windes erreichten wir gegen 15 Uhr die Ostsee. Vor uns lag ein Zeitfenster von rund zehn Stunden mit etwa 3 Beaufort Wind aus östlichen Richtungen, bevor es gegen zwei Uhr früh abflauen sollte. So konnten wir unseren großen Wunsch, möglichst unverzüglich Bornholm anzusteuern, noch nicht befriedigen, sondern lenkten unseren Bug gen Sassnitz. Olaf und Pierre kochten den für solche Vorhaben obligatorischen großen Eintopf und gut gestärkt ging es an die „restlichen“ 40 Meilen des Tages. Die Greifswalder Oie passierten wir noch bei Tageslicht. Knapp zwei Seemeilen vor der Hafeneinfahrt von Sassnitz flaute es ab, so dass wir mit Motorkraft die letzten Kabellängen zurücklegten. Leuchtfeuer im grünen, dann im weißen Sektor an Steuerbord, Untiefentonne vor der Hafenmole ebenfalls, rotes Festfeuer an Backbord. Mit Scheinwerfer legten wir an der langen einsamen Mole an Steuerbord an. Es war kurz nach Mitternacht.
Am Dienstag gab es erstmals Frühstück mit Brötchen. Nach Rückgabe des ersten großen Beutels Pfandgut und kleinem Einkauf teilte sich die Crew. Olaf und Pierre nahmen den malerischen Landweg entlang der Kreideküste unter ihre Turnschuhe und Jim segelte die Eilunh Einhand nach Lohme. Iljan und Daniel waren als „blinde Passagiere“ mit an Bord und somit zur Untätigkeit verpflichtet.
Am nächsten Tag sollte es bei erst südlichen, dann westlichen Winden bis 5 Bft. den langen Schlag nach Bornholm geben. Da der Wind erst am späten Morgen einsetzen sollte, bestellten wir für halb acht Brötchen, frühstückten in Ruhe und legten gegen neun Uhr ab. Gerade als Olaf und Daniel unter Deck gemütlich eindösten, kam der Ruf „Boje über Bord – all Hands on Deck“. Etwas später war die Boje wieder an Bord (hätte besser klappen können). Gegen Mittag nahe des Windparks Wikinger klarte der Himmel auf und die Sonne kam durch. Es war ein wundervoller Segeltag. Auf Bornholm steuerten wir Hasle an. Auf der Suche nach einem freien Liegeplatz drangen wir bis in das hinterste Hafenbecken vor und erblickten das uns aus dem heimatlichen Hafen wohlbekannte Heck der Lunatix. Sebastian nahm die Vorleinen entgegen und wir waren hier Nachbarn wie in der SVH. Der Abend des längsten Tages des Jahres klang mit Pasta und Klön aus.
Am nächsten Morgen ließen wir es wieder gemächlich angehen, weil nur ein Etmal von 24 Seemeilen anstand. Jim als einer der beiden Crewmitglieder, die am Sonntag den Heimweg antreten mussten, oblag die Törnplanung für die nächsten Tage. Mit Zustimmung der gesamten Mannschaft (hier muss nicht gegendert werden) wählte er als Tagesziel Christians0 aus. Nach Strandbesichtigung, Einkauf und Gruppenfoto zusammen mit der Crew der Lunatix bunkerten wir Frischwasser und legten kurz nach zwölf Uhr ab. Im vor Schwell geschützten Vorhafen setzten wir das Großsegel und direkt nach Passieren der Hafeneinfahrt das Vorsegel. Bei westlichem, also auflandigem Wind gingen wir für etwa eine Meile hart an den Wind, um dann mit Halbwind auf Steuerbordbug gen Norden an der Küste entlangzusegeln. Am Nordkap Bornholms gingen wir auf Raumschot- und später auf Vorwindkurs. Mit Sebastian und vor allem Martaluna hatten wir Funkkontakt verabredet. Leider zeigte sich bei diesem Funkversuch ein weiterer Mangel unserer Bordelektrik. Erste Überlegungen gingen in Richtung defektes Antennenkabel. Da müssen wir wohl ran. Zum Glück erwarteten wir für das kommende Wochenende Hulk als neues Crewmitglied. Als Physiker und Denkmaschine wird er helfen können! Die letzte Stunde der Tagesetappe segelten wir unter Gennaker.
Die Erbseninseln zeichneten sich immer deutlicher ab und das warme Gelb der langen ehemaligen Kasernen strahlte uns entgegen. Die einzige für unseren Tiefgang in Frage kommende Anlegemöglichkeit war schon voll besetzt, so dass wir der stillen Einladung auf der Wasserseite hängenden Fender folgten und an einem anderen Segler längsseits festmachten. Wenige Minuten später waren wir auch schon von Bord, um die sich als äußerst schön erweisenden Inseln zu erkunden. (Es gibt eine Brücke!). Aufgrund des guten Wetters und der Unbekümmertheit, die Dänemark auf uns übertrug, ließen wir Luken und Niedergang einfach offen.
Leichter Wind brachte uns am nächsten Tag zurück nach Bornholm. Zur Zwischenmahlzeit drehten wir bei und genossen Brot und Spiegelei versehen mit allerlei Leckereien. Nach drei Stunden Segeln legten wir um 13:30 Uhr in Gudhjem nahe einem Großsegler mit bewegter Geschichte an.
Wir erkundeten das Städtchen, welches mit Svaneke um den Rang des schönsten Ortes der Insel ringt. Im Hafen wurde gerade das „Sol over Gudhjem“-Kochfestival vorbereitet, welches am nächsten Tag stattfinden sollte. Am Abend gab es Jims berühmtes Risotto, vom dem auch die norwegischen Nachbarn eine Portion probieren durften. Unser persönlicher Sieger stand fest! Nach Frühstück mit Rundstücken (Brötchen) trennten sich wiederum die Wege der Crew, um nach kleiner Wanderung (Iljan und Olaf) und kleinem Segelschlag (Pierre, Jim und Daniel) in Svaneke wieder zusammen zu finden. Kurz nach dem Festmachen kam die Lunatix längsseits an die nächste Mooringboje und ein gemeinsames Burgeressen wurde für den Abend vereinbart. Doch zuvor „mussten“ wir zur Räucherei pilgern und genossen den langersehnten geräucherten Hering. Es war ein Genuss und wir wurden wieder davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Abends feierten die Crews der Lunatix und der Eilunh bei Burgern und Gin Tonic.
Am nächsten Morgen machten sich Jim und Pierre auf den Heimweg nach Bad Oldesloe bzw. Berlin. Die Reise der Abgeheuerten verlängerte sich aufgrund falscher Informationen zur Abfahrtszeit der Fähre von R0nne nach Mukran. Ein beachtlicher Umweg über Ystad und Kopenhagen musste genommen werden. Die verbleibenden Crewmitglieder verabredeten einen Hafentag. Für den Abend wurde Hulk aus neuer Mitsegler erwartet. Iljan und Daniel nutzten den Tag für einen Landgang. Später winkten Olaf und Daniel den lang erwarteten Hulk am Dorfplatz aus dem Bus und schnell gab es Erfrischung für außen (baden) und innen (kaltes Getränk). Hulk hatte Svaneke-Bier mitgebracht. Etwas zu spät für die Friteuse (das kennen wir ja schon aus Karnin) kamen wir in die Räucherei. Backfisch und Fritten gab es nicht mehr, so griffen wir zu geräuchertem Hering und Makrele, die wir an Bord genossen.
Am Montag segelten wir am Vormittag gen Nordosten, an Gudhjem und Allinge vorbei. Kaum hatten wir das Nordkap der Insel umrundet, flaute der Wind ab. Um nicht in Regen und Gewitter zu kommen, starteten wir die Maschine und kamen nach rund einer Stunde unter Motor nach Hasle, wo wir gegen 17 Uhr festmachten.
Bei westlichen Winden um 5 bis 6 Bft. verbrachten wir den Dienstag im Hafen. Der Vormittag verging mit der Herstellung der Funktionsfähigkeit des Funkgerätes. Nach Analyse legten wir neue Kabel für die Spannungsversorgung und das Problem war behoben. Mittags kochte Olaf den Eintopf für den kommenden Tag und ein asiatisches Shrimps-Gericht für sofort. Der Nachmittag verging mit Karten schreiben und unser Freund Bonne, der dieses Jahr leider verhindert war, aber in vergangenen Jahren als Schiffsarzt mit dabei war, wurde mit einer besonderen Postsendung bedacht.
Die Wetter- und Windvorhersagen für die nächsten Tage führten zum Plan, am Mittwoch durch Frühstück gestärkt gegen acht Uhr abzulegen und nach Swinemünde zu segeln. Auf West drehende Winde erst um 5 Bft., abnehmend auf 3 Bft., verbunden mit ebenfalls abnehmender Welle von 1,2 Meter auf 0,5 Meter waren angekündigt. Im Vorhafen setzten wir das gereffte Großsegel, kurz nach Verlassen des Hafens die Genua. Zunächst kam der Wind noch aus Nord und wir steuerten einen stabilen Raumschotkurs nach Südwest. Bald darauf flaute der Wind ab und wir nahmen Kurs auf das 20 Seemeilen näher gelegene Sassnitz. Das Abflauen war aber nur der Vorbote des aus West wieder einsetzenden Windes mit tatsächlich 5 Bft. So nahmen wir nach wenigen Meilen wieder Kurs auf Swinemünde. Es folge ein herrlicher Segeltag mit Halbwind- und später moderatem Amwind-Kurs. Daniel war bei einem der kurzen Gänge unter Deck (bei der Welle ließ es sich nicht länger aushalten) unvorsichtig, hielt sich beim Zücken des Fotoapparats nicht fest und prellte sich die Schläfe. Zum Glück waren genug kalte Getränke im Kühlschrank, die sich auch wunderbar zum Kühlen von Prellungen eigneten. Bei abnehmender Welle und moderateren Winden segelten wir schon mit Sicht auf Usedom in den Sonnenuntergang, um uns dann mit den Kennungen der Leuchtfeuer und befeuerten Tonnen zu beschäftigen. Auch Fähren, Frachter und Piloten hatten wir zu berücksichtigen. Kurz nach Mitternacht legten wir in Swinemünde an.
Der Hafen in Swinemünde dient uns regelmäßig nur als Zwischenstopp – es gibt so viele schönere Häfen. So legten wir gleich morgens wieder ab und frühstückten unterwegs. An diesem Tag herrschte Flaute. Wir versuchten trotzdem zweimal zu segeln, einmal in der Kaiserfahrt und dann wieder, als wir das Haff erreichten. Wir mussten aber stets bald wieder die Segel streichen. Im Haff gab es ein köstliches Menu aus mehreren Gängen, welches Olaf bereitete. Gegen halb sechs erreichten wir die Marina Goclaw in Stettin. Wenig später war der Mast gelegt. Abends schauten wir den dritten Teil des Seewolf.
Den Rückweg nach Berlin legten wir in den kommenden zwei Tagen zurück. Am späten Nachmittag des ersten Tages passierten wir das neue (!) Schiffshebewerk Niederfinow und machten nach telefonischer Rücksprache mit dem Hebewerkspersonal an der westlichen Sportbootwartestelle des alten Hebewerks fest. Der vierte und letzte Teil des Seewolf führte uns durch den Abend.
Ein weiterer gemütlicher Tuckertag mit Aufräumen und Packen brachte uns zurück in den heimatlichen Hafen der SVH. Bis auf Daniel fuhren alle nach Hause, um am nächsten Tag zurückzukehren. Am Sonntagmittag stand der Mast schon wieder und die Eilunh war segelfertig für die verbleibende Saison in Berlin.
Es war ein rundum gelungener Törn!